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Die Glaskugel (1)

Eine Glaskugel. In ihr eine winzige Stadt, die ebenfalls aus Glas bestand. In ihr befanden sich Figuren, die einer Puppe ähnelten. Mit voller Konzentration blickte ich durch meine Lupe, die es erst recht ermöglichte, überhaupt irgendetwas zu erkennen. Wer auch immer diese Kugel angefertigt hat, hat sicher ewig daran gearbeitet. Und wie präzise das erst alles war. Unglaublich. Ich wollte die Kugel gerade zur Seite legen, als sie anfing ein sehr grelles unangemes Licht auszustrahlen. Mir wurde weiß vor Augen. Schließlich verlor ich mein Bewusstsein. Ein stechender, strenger Geruch stieß in meine Nase und ich setzte mich sofort auf. Es roch ein wenig wie Glasputzreiniger. Ich öffnete langsam meine Augen, die einige Zeit brauchten, um sich an die helle Umgebung zu gewöhnen. Mein Schädel brummte gewaltig, aber sonst war alles normal. Zumindest dachte ich das, bis ich merkte, dass ich meine Beine nicht spüren konnte. Und es waren nicht nur meine Beine, sondern mein ganzer Körper. Ich warf einen Blick runter. Meine Beine … sie waren durchsichtig. Diese glasigen Beine kamen mir bekannt vor. Sie sind genauso geformt wie die Glaspuppen in der Glaskugel. Ich versuchte nicht, zu verstehen was mit mir geschehen ist oder warum, ich war viel mehr damit beschäftigt meinen oder eigentlich nicht meinen Körper zu betrachten. Ich starrte meine Beine weiter an. Ein widerwärtiges Gefühl überkam mich, als ich durch meine nichtmenschlichen Beine durchsah. Ich schaute zunächst meine Hände an. Keine Finger. Nur diese Klumpen wie bei einer Puppe. Meine Bekleidung hatte sich in Luft aufgelöst. Ich griff nach meinem Gesicht, nur um festzustellen, dass keine Augen, weder Mund noch Nase vorhanden waren. Aber das machte gar keinen Sinn. Wie konnte ich denn sehen, wenn ich keine richtigen Augen hatte und wie konnte ich diesen Geruch wahrnehmen, wenn ich keine Nase hatte. Ich versuchte zu sprechen. Kein einziges Wort kam aus diesem glasigen Körper. Nicht mal ein Geräusch. Mein Gehör funktionierte genau gleich wie vorher, obwohl ich auch keine Ohren hatte. Ich rappelte mich mühsam auf und warf einen genaueren Blick in mein Umfeld. Alles war aus Glas. Ich musterte mich genauer in meiner Bodenspiegelung. Sieht ja gar nicht mal so schlecht aus. Nicht weit entfernt von mir lag dieselbe glasende Stadt wie in der Kugel zu erkennen war. So schnell wie mein Körper es zuließ, marschierte ich Richtung Stadt. Es wimmelte nur so von anderen Figuren, die sich alle ident waren. Plötzlich sprach mich eine an. Ich verstand nicht ganz, wie das funktionierte, denn wir hatten keine Münder. Es war so, als würde sie direkt in meinen glasigen Kopf sprechen. Es war eine sehr angenehme warme Stimme. Sie fragte mich, ob ich hier neu war. Woran sie das wohl erkannt hat. Ich würde ja gerne antworten, aber verstand noch nicht, wie ich das anstellte. Nach kurzer Stille sprach die Stimme nochmal. Sie hatte wohl verstanden, dass ich es noch nicht kann. Ich sollte einfach meine Antwort versuchen deutlich im Kopf zu formen. Sie würde dann von selbst an sie weitergeleitet werden. Wie Telepathie. Ich versuchte es erneut und es gelang mir. Ich spürte, wie sie Mitleid mit mir hatte. Doch ich verstand nicht warum, denn ich war ziemlich glücklich hier. Niemand konnte mir Leid zufügen. Keine physischen Schmerzen mehr und ich musste mir keine Gedanken über mein Aussehen machen. Aber das teilte ich ihr nicht mit. Es wird dir nach gewisser Zeit bewusst, wie sehr du deine Menschlichkeit sowie deine Welt vermissen wirst. Glaube mir, ich bin schon sehr lange hier gefangen. Ich fragte sie, ob sie eine Ahnung hatte, wie wir hierher gelangt waren, doch wie zu erwarten hatte auch sie keine Antwort auf diese Frage.

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