fbpx

4 Wände

Eine Pupille. Ein schwarzer spalt in einem Meer aus Gold. Wie gebannt betrachte ich die wundersamen Augen, verliere mich in der Maserung der Iris und den strahlenden Farben. Eine Sekunde. Zwei Sekunden. Drei Sekunden.  

Zack! Mit dem nächsten Wimpernschlag werde ich brutal zurück in die Welt gerissen.

Ich sehe mich um. Unser Wohnzimmer, der alte kaminrote Teppich, meine Eltern am Küchentisch und mein Bruder auf dem grauen Sofa. Alles wie immer. Mit einer schnellen Bewegung stehe ich auf, wende mich von dem gläsernen Terrarium vor meiner Nase ab und tue so, als wäre ich nicht noch einen Augenblick zuvor in ein intensives Bockstarren mit unserem Gekko Gerry verwickelt gewesen.

Routiniert greift meine linke Hand nach der dunkelgrünen Kuscheldecke und langsam bewege ich mich Richtung Sofa. Mit einem Seufzer lasse ich mich neben meinem Bruder, der bis zur Nase in seinem Asterix-Comic steckt, in die Kissen sinken.

Mein Blick wandert wieder in Richtung der spiegelnden Terrariumwände. 4 davon. Die gläsernen Platten sind alles, was Gerry’s Welt von meiner trennt und doch sind unsere Leben so unterschiedlich. Oft frage ich mich wie es sich anfühlt. Nimmt er uns durch seine kugelrunden Augen überhauptwahr, fühlt er sich gefangen oder ahnt er gar nicht, dass außerhalb seines Glaskäfigs noch so viel mehr liegt als ein paar Steine und sein Futternapf. Würde ich ein Solches Leben führen wollen? Würde ich tagtäglich vor einem riesigen, versperrten Fenster sitzen, und auf die Welt auf der anderen Seite blicken wollen? Nein.

Immer wieder versuche Ich meine Eltern zu überreden Gerry wieder freizulassen. Ohne Glück. Also füttere ich ihn trotzdem jeden Tag, reinige das Terrarium und befülle seinen tönernen Wassertrog. Den wenn er schon hinter seinen 4 Wänden gefangen bleibt, soll er wenigstens ein schönes Leben haben, in seiner kleinen, gläsernen Welt.


KONTAKT info.literatur@ortweinschule.at

KONTAKT
info.literatur@
ortweinschule.at

Sponsoren