Lea Sommer näherte sich der Eingangstür, bis die Nasenspitze fast am Glas war, und öffnete sie mit dem Schlüssel ihrer verschwundenen Schwester Mara. Schon an der Türschwelle spürte sie die unheimliche Kälte und sah die chaotische Unordnung. Sämtliche Fenster waren zerbrochen, die Glasscherben glitzerten am Boden, und aus den Augenhöhlen eines verwesenden Tieres krochen Ameisen.
Voller Schrecken stürmte sie hinaus in den Innenhof, stolperte über den Zaun und fiel. Als in der Wohnung erneut etwas klirrte, humpelte sie panisch zum Auto, startete den Motor und raste davon. Auf der Hauptstraße musste sie scharf bremsen, als ein schwarzer Van um die Kurve schoss. Durch das Fenster sah sie ein Gesicht hinter einer Sturmmaske. Zuhause verriegelte sie die Tür dreimal und versuchte, die Angst wegzuschieben. Am nächsten Morgen ging sie mit dunklen Augenringen zur Arbeit. Eigentlich wollte sie endlich mit Jonas Weber, dem neuen Kollegen, reden, doch im Lift brachte sie nur ein leises „Guten Morgen“ hervor. Jonas musterte sie besorgt und gab ihr seinen Kaffee. Nach einem langen Tag verließ sie als Letzte das Büro. Vor ihrem Auto bemerkte sie eine vermummte Gestalt, die zwischen den Wagen verschwand. Zuhause beschloss sie, sich endlich den Briefen ihrer Schwester zu stellen. Mit einem Glas Wein las sie die Nachricht: Mara hatte wieder Schulden und war untergetaucht. Lea wusste, diesmal war etwas anders – sie konnte nicht länger wegsehen. Am nächsten Tag fuhr sie erneut zu Maras Wohnung. Sie hatte beim letzten Mal nicht abgeschlossen. Auf dem Tisch lag ein Stapel Briefe, beschwert mit einem schwarzen Glasherz. Sie griff danach, als plötzlich kalte Hände ihren Mund bedeckten. „Kein Laut, sonst wird es schlimmer“, flüsterte eine Stimme.
Unter Zwang fuhr sie zu einer abgelegenen Hütte, die sie kannte: Maras früherer Treffpunkt mit Timo Kranz, ihrem Exfreund. Drinnen wurde Lea auf einen Stuhl gedrückt. Stimmen murmelten, dann Stille – bis draußen jemand schrie.
Die Augenbinde rutschte ab, und Lea sah Mara in die Hütte stürmen. Timo packte Mara, schrie sie an und verlangte Geld. Als er sie grob wegstieß, griff Lea nach einer Glasscherbe und stach zu. Die Schwestern flohen in Panik nach draußen – doch dort stand ein Mann. „Schnell, steigt ein!“, rief er. Es war Jonas. Ohne nachzudenken, sprangen sie in sein Auto. Erst auf einem abgelegenen Parkplatz hielt er an. Mara erzählte unter Tränen, wie sie Timo um Hilfe gebeten hatte, er sie aber immer mehr unter Druck setzte und schließlich Leas Entführung plante. Jonas hörte still zu, dann sah er Lea an. „Ich habe dich heute morgen im Lift gesehen“, sagte er leise. „Du warst so blass – ich wusste, dass etwas nicht stimmt. Also bin ich dir gefolgt.“ Lea spürte ihr Herz schneller schlagen. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte sie sich nicht mehr allein. „Danke“, flüsterte sie. Jonas lächelte. „Wir schaffen das. Zusammen.“ Und Lea wusste: Das war nicht das Ende, sondern der Anfang von etwas Neuem.