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Ambers Welt

Draußen tropften die einzelnen Regentropfen die Rinne hinunter, die Sonne wirkte wie erloschen, der Himmel so bewölkt, dass man meinen könnte, jemand hätte eine dicke Flauschdecke über die Stadt gelegt. Auch der Gesang der Vögel war verschwunden, ersetzt vom leisen Rauschen des Windes. Der Herbst war abrupt gekommen, von einem Tag auf der anderen verwandelten sich kurzärmlige T-Shirts und Shorts zu Pullis und langen Hosen, die kalten Sodas wurden zu heißen Schokoladen. Im Endeffekt änderte sich viel, aber gleichzeitig auch Garnichts. Für Amber war es die beste Zeit des Jahres, eine Übergangsperiode zwischen Sommer und Winter, warm und kalt. Das Wetter war unberechenbar, manchmal regnete es so viel, dass sie unmöglich von der Schule heimkommen konnte, ohne durchgenässt zu sein. An anderen Tagen war es warm, die Sonne schien durch die vom Herbst veränderten Blätter, in allen möglichen warmen Farben. Es war eine Dualität, die sonst keine Jahreszeit hatte. Für sie wirkte es so, als ob um die Zeit eine riesige gläserne Kuppel um ihre Stadt herum gelegt wurde, sie fühlte sich dort so wohl wie sonst nirgends. New York war sonst immer ein chaotischer, unberechenbarer Ort, in dem alles passierte. Jetzt war endlich wieder diese melancholische Ruhe eingekehrt, nach der sie so vergeblich sehnte. Da es heute den ganzen Tag regnete, schlüpfte sie in ihre warmen Uggs, legte einen Schal um ihren Hals, nahm ihren Regenschirm in die Hand und machte sich auf den Weg in die Schule. Sie schloss die Haustür von außen und machte sich auf den Weg zur Haltestelle. Blätter mit den verschiedensten Farben lagen auf dem Boden, es war ein bisschen windig, weswegen sie ihren Schal noch ein bisschen höher und näher an ihr Gesicht zog. Ihre Backen waren so rot, wie das Licht der Ampel, neben der sie, rotbackig und ahnungslos stand. Wie hätte sie denn wissen sollen, was in ein paar Sekunden passieren würde, wie hätte sie wissen sollen, dass das das letzte Mal war, dass sie diesen Weg ging, diese Farben sah, und diesen Wind spürte? So schnell kann es gehen, ohne jegliche Vorahnung kann einem das Leben weggerissen werden, so schnell kann einem eine geliebte Person weggenommen werden. Amber würde nie mehr ihre Lieblingsjahreszeit in ihrer gläsernen Welt erleben können, wegen einer Person, einer einzigen Person von vielen anderen, dessen Welt wohl eher eine digitale war.  


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