Was tut man, wenn man sich eines Abends plötzlich in seinem Wandspiegel wiederfindet? Wenn sich um einen, plötzlich Wände, aus Scherben verspiegelten Glases befinden? Es war bitterkalt und jeder Atemzug war laut genug, um meiner Umgebung ein verzerrtes Echo zu entlocken. Das Licht, mit dessen Hilfe ich meine neugefundene Situation eroieren konnte, glitzerte aus einem Umriss vor mir.
Es konnte noch keine Minute her sein, als ich in meinem Zimmer saß und mein Spiegel plötzlich ein schwaches, pulsierendes Leuchten von sich gab. Ich trat davor und mein Spiegelbild folgte seinerseits meinem Beispiel. Vielleicht waren es kaputte Lampen, die sich innerhalb der Installation verbargen und sich einen Streich erlaubten? Man wusste schließlich nie welche Geheimnisse ein Möbelstück aus zweiter Hand, verbarg. Mit einem amüsierten Schmunzeln fragte ich mich, ob die alte Händlerin, die gerade zu ekstatisch gewirkt hatte, ihren Spiegel an mich verkaufen zu können, nicht auch das ein oder andere Mal den Eigenheiten des Spiegels zum Opfer gefallen war. Mein Schmunzeln erstarb jedoch so plötzlich wie Kerzenflammen unter einer Glaskuppel. Denn ohne, dass ich, innerhalb der Zeit die ich denn Spiegel betrachtete, auch nur mein Gewicht verlagert hätte, begann mein Spiegelbild sich mir zu nähern. Zusätlich, verlor meine Reflektion Zetimeter für Zentimeter an seiner Menschlichkeit. Die mir vertraute Hülle, mein Körper, ließ mich nun erstarren und eine Fratze puren Grauens verzog mein Gesicht. Die Knochen im Körper meines Spiegelbildes schienen sich unter dessen Haut zu winden, die Nägel meines Abbildes entrißen sich dessen Finger und ein gebrochenes Klirren begann zu erklingen. Über die nächsten paar Sekunden hinweg, schöpften das dröhnende Geräusch und das pulsierende Leuchten deren Kapazitäten vollkommen aus, was meine Sinne nun vollends benebelte und jeglichen Gedanken an ein Fluchtmanöver wegfegte. Meine aufgerissenen Augen tränten, mein offenstehender Mund fühlte sich trocken und meine Lippen spröde an als mich die Reizüberflutung vollkommen übermannte, und mein Puls drohte mein Herz zu überlasten. Plötzlich, Stille.
Nun wären wir wieder an dem Ausgangspunkt meiner verdammt misslichen Lage. Ich ließ mich, so sanft es mir meine schlotternden Knie erlaubten, auf den Boden sinken und saß, meinen Kopf in meine Knie vergraben, minutenlang fröstelnd auf dem elendig kalten Boden. Als ich mich ein wenig beruhigt hatte und mein Gesicht etwas hob, blickte ich durch das Loch in der Glaslandschaft. Dort, Nase und Hände an eine unsichtbare Barriere zwischen meinem Zimmer und dieser „Welt aus Glas“ gedrückt, hockte ... ich. Nur konnte das natürlich nicht wirklich ich sein die dort mit leeren Augen gegen die Scheibe lehnte. Das konnte nicht ich sein die sich langsam aufrichtete, sich umdrehte und ohne auch nur einmal zurückzublicken, mein Zimmer verließ. Noch immer auf allen vieren zog ich mich panisch in die Dunkelheit der, scheinbar willkürlich errichteten, endlosen Scherbenwände zurück. Meine schweißnassen Hände klebten unangenehm auf dem Boden. „Hey!“, hustete aus der unbeleuchteten Dunkelheit hinter mir eine Stimme. Sofort drehte ich mich um, voller Angst, deren Ursprung könnte sich als das verzehrte Spiegelbild meiner Selbst entpuppen. Aber stattdessen, gerade noch so vom Licht beleuchtet, kristallisierte sich zusehends, eine gebuckelte Gestalt aus den umliegenden Schatten heraus. Die alte Frau, die mir den Spiegel verkauft hatte, seufzte, ein grimmiger Ausdruck auf ihrem faltigen Gesicht und schüttelte nun den Kopf mit einem starren Blick gen das helle Loch, das einen Einblick in mein Zimmer ermöglichte. Jetzt wandte sie sich mir zu. Ihr Ausdruck wurde merklich sanfter, ihre Augen voller tiefem Mitgefühl und Verständniss. „Komm mit, ich und die Anderen erklären dir erstmal was gerade passiert ist.“