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Privatsphäre?

Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt noch irgendetwas nur für mich habe. Einen Gedanken, der nicht irgendwo gespeichert ist, ein Gefühl, das nicht schon längst von irgendeinem Algorithmus analysiert wurde. Ich öffne mein Handy, und es schlägt mir Dinge vor, über die ich nie gesprochen habe – nur gedacht. Ich schwöre, manchmal denke ich nur rasch an etwas, und ein paar Stunden später taucht es als Werbung auf. Zufall? Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Ich weiß nicht mehr, wann es angefangen hat, dieses langsame Auflösen der Privatsphäre. Erst waren es Fotos von mir im Status meiner Mutter auf WhatsApp, als ich noch nicht mal wusste, was das war. Dann Standorte, die mir meine Freunde schickten, damit ich immer wusste, was sie in ihrer Freizeit so machen. Dann Gewohnheiten wie zum Beispiel das Posten von Insta Storys, die die ganze Welt sehen könnte. Doch das war meinem 11-jährigen Ich nicht bewusst, ich dachte mir, was ist schon dabei, alle posten, wo sie ihren Urlaub mit der ganzen Familie verbringen. Warum ich nicht auch? Ein Fehler? Jetzt sind es ganze Persönlichkeitsprofile, die irgendwo von mir existieren. Auf Plattformen, die ich längst nicht mehr benutze existieren wahrscheinlich mehr digitale Abbilder von mir, als mir bewusst ist. Ich bin nicht mehr nur ein Mensch aus Fleisch und Blut – ich bin ein Datensatz. Ein gläserner Mensch, durchleuchtet bis auf die letzte Unsicherheit, durchschaut noch bevor ich selbst verstanden habe, was mit mir los ist. Und das Erschreckende? Ich habe mitgemacht. Freiwillig. Klick für Klick, Zustimmung für Zustimmung. „Ich habe die Datenschutzbestimmungen gelesen“ – gelogen. Immer. Aber es ging schnell, es war bequem, und alle haben’s gemacht. Ich dachte, ich hätte nichts zu verbergen. Was für ein Satz. Was für eine Lüge. Denn was ich nicht beachtet habe: Wenn alles sichtbar ist, was ist das Verborgene dann noch wert. Und ohne das Verborgene... wer bin ich dann noch? Wenn meine Entscheidungen vorhersehbar werden, wenn mein „Tik Tok For you Feed“ vor mir weiß, was ich suchen will, wenn mein Amazon Profil vor mir weiß, was ich kaufen möchte, weil das System längst weiß, wann es mir nicht gut geht, wann ich einsam bin, wann ich kaufe – bin ich dann überhaupt noch frei? Vielleicht ist es das, was mir am meisten Angst macht. Nicht, dass jemand alles über mich weiß. Sondern dass ich irgendwann vergesse, wer ich wirklich bin, wenn ich nicht beobachtet werde. Wenn kein Bildschirm vor mir leuchtet, kein digitales Gerät seine Augen auf mich richtet. Ich sehne mich nach einem Gedanken, den niemand mitlesen kann. Nach einem Moment, in dem ich bin, wer ich wirklich bin und nicht durch ebenso privatsphärenlose Menschen beeinflusst werde. Einfach nur ich sein. Ohne Augen, ohne Analyse. Einfach Mensch. Und nicht aus Glas.  

 


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