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Zwischen zwei Welten (2)

Emma Bonato

Meine Familie besitzt ein kleines Ferienhaus in Italien. Meine Eltern, mein Bruder und ich sind jeden Sommer dort und ich kenne die Insel und das Meer schon fast so gut wie meine Westentasche. Immer wenn ich am Meer bin, spüre ich eine tiefe Verbundenheit zu dem blauen Nass. Es riecht nach Freiheit. Ich liebe das Meer in allen seinen Fassetten: Wenn es eine glatte blaue Oberfläche ist, aber auch wenn es stürmisch tobt und die Wellen an die Felsen spritzen.  

Eines Tages ist das perfekte Wetter zum Windsurfen. Als ich ein bisschen weiter draußen bin und mich auf eine Wende vorbereite, reißt mich eine Windböe vom Bord. Ein paar Sekunden später zieht mich ein Strudel aus Luftblasen nach unten in die tiefe. Ich versuche den Kopf über Wasser zu halten aber der Strudel gewinnt. Nach 30 Sekunden ohne Luft wird mir schwarz vor Augen und als ich wieder aufwache, bin ich noch immer Unterwasser. Ich schrecke hoch und merke, dass ich atmen kann. Das ist eigentlich unmöglich, aber es ist genauso wie ich es mir immer vorgestellt habe. Plötzlich taucht in meinem Sichtfeld ein Junge, ungefähr in meinem Alter, auf. Er hat blaue, lockige Haare. Sie sind genauso blau, wie seine Augen, sein T-Shirt, seine Jeans, sein Pulli und seine Flossen. Er sieht besorgt aus, aber als er sieht, dass ich meine Augen geöffnet habe, lächelt er. Sein Lächeln ist unglaublich schön. Ich erwidere sein Lächeln, dann erklärt er mir was passiert ist: „Plötzlich lagst du hier. Du hast nicht geatmet, ich wollte dich wieder zurück an die Meeresoberfläche bringen, aber das Tor ist verschlossen. Du bist hier in Atlanti das ist ein kleines Dorf in der Unterwasserwelt. Aber keine Sorge, den Schlüssel für das Tor können wir einfach bei der Unterwasserkönigin besorgen. Ich heiße übrigens Lix.“ Er hilft mir auf die Beine und schwimmt los. Im Dorf angekommen bewundere ich die vielen Häuser und Brunnen aus Glas. Alles ist durchsichtig und sieht aus, als würde es aus Wasser bestehen. Wir schwimmen in einen kleinen Laden. Lix kauft mir ein Paar Flossen, damit ich schneller schwimmen kann und dann machen wir uns auf den Weg zur Unterwasserkönigin. Wir reden den ganzen Weg und lachen sehr viel. Es fühlt sich an, als würden wir uns schon ewig kennen. Wir überqueren einen Hügel und dann sehen wir das Unterwasserschloss. Es ist auch aus Glas, hat vier Türmchen, die wie Schneckenhäuser geformt sind und ist mit Muscheln aller Art geschmückt. Zwei Wachen bringen uns zur Königin. Sie sieht ganz anders aus als erwartet. Die Frau trägt Jeans, einen Oversized-Pulli und eine Krone aus Glas. „Wir bräuchten den Schlüssel für das Tor zur Oberwasser-Welt“, sagt Lix und erklärt die Situation. Während dem Sprechen greift er nach meiner Hand. Sie ist warm und nass, aber es fühlt sich gut an. Die Königin hört uns gespannt zu und bittet ihre Wachen, uns zum Tor zu begleiten und es dann wieder zu schließen, damit nicht noch mehr Menschen ungewollt nach Atlanti kommen. Auf dem Weg zurück hält Lix die ganze Zeit meine Hand. Wir reden über unsere Leben und wie verschieden sie sind. Ich spüre die ganze Zeit ein kleines Kribbeln im Bauch, als würden tausende von Schmetterlingen darin herumfliegen. Am Tor angekommen schweigen wir. Die Wachen öffnen es und lassen uns kurz allein. Lix lächelt mich an. Sein Lächeln ist einfach umwerfend. „Ich werde dich nie vergessen“ sagt er und umarmt mich. Ich nicke nur, weil ich nichts sagen kann. Er ist mir an diesem einen Tag so ans Herz gewachsen und ganz unter uns, er ist zu süß. Ich löse mich aus seiner

Umarmung und bedanke mich für alles, dann schwimme ich in Richtung Tor. Er greift nach meiner Hand, zieht mich zu sich zurück und schaut mir tief in die Augen. Das Kribbeln ist wieder da. „Du bist der hübscheste, süßeste, netteste und schlauste Mensch, den ich je sehen habe“, Lix kommt mir noch ein bisschen näher. Nun sind wir nur einige Millimeter voneinander entfernt. Seine Hand gleitet über meine linke Wange. Meine Augen werden glasig. Lix scheint es zu bemerken und flüstert: „Wenn es das Schicksal will, werden wir uns irgendwann wieder sehen.“ Nach diesem Satz küsst er mich. Es ist mein erster Kuss und wahrscheinlich auch der allerbeste. Wir liegen uns noch lange in den Armen. Nach einer Zeit kommen die Wachen wieder. Ich verabschiede mich und wenn mein Herz aus Glas gewesen wäre, wären es nun nur noch Scherben. Ich schwimme aus dem gläsernen Tor, werde von dem Strudel mitgerissen und mir wird wieder schwarz vor Augen.


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