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5.PLATZ: einen moment lang

Tamara Mayr-Veselinović

Für einen Moment, für einen Augenblick lang war nicht alles offensichtlich, nicht alles offensichtlich für alle Augen dieser Welt, nein. 

Es war nicht alles im Licht auf einer Bühne, nicht alles für jeden zum Bestaunen und darüber hinter vorgehaltener Hand weiterzuerzählen, nein.

Nicht alles auf dem Silbertablett hergerichtet und direkt weiter in die Gerüchteküche geliefert, nein.

Es war nicht so, als ob wir, wie stumme Fische in einem Aquarium, eine Attraktion für alle waren, nein.

Es war nicht alles nach außen hin verzerrt, sodass die eigentliche Bedeutung, der eigentliche Grund, der eigentliche Sinn, nicht mehr zu erkennen war, nein.

Das Glas war nicht wie ein Spiegelkabinett, die Wahrheit verändernd, auf den Kopf stellend, nein.

Nicht alles so zerbrechlich, jede Wand, jeder Boden, sodass ein falsch gesagtes Wort, ein falsch gehauchter Laut alles in sich zusammenfallen lassen würde, alles schwer erarbeitete und mit Mühe aufgebaute Glashaus mit einem leisen Knall zerstört, wie ein Haus bestehend aus einem Kartenspiel bei dem geringsten Wind, nein.

Es war nicht alles allen offenbart, sodass jeder sehen konnte, was man machte, jeder einem so lang zuschauen konnte, bis einem ein Fehler passierte und sobald der Fehler passierte sofort alles vorbei war, nein.

Es war nicht alles durchsichtig und kalt, irgendwo da war Farbe in deinen Augen. Irgendwo da, fühlte ich mich sicher und mir war nicht so kalt. Irgendwo da, konnte ich die gläserne Welt vergessen und es fühlte sich so an, als ob unsere Welt aus echtem Boden bestand. Irgendwo da war alles in Ordnung.

In der Art, in der du mich ansahst, in der Art, in der du meinen Namen sagtest.

Und ich hoffe, wir vergessen, ich hoffe ich vergesse diesen Moment nicht. Ich hoffe, auch wenn alles wieder wie immer ist, dass wir nicht vergessen, ich nicht vergesse, dass es anders sein kann. Nicht vergessen, dass es eine andere Möglichkeit gibt, einen anderen Weg. Dass nicht alles so ist, wie vorgeschrieben. In diesem Moment gab es nur uns, es waren nur wir, nur du und ich, ganz allein.

Ich hoffe wir können uns, ich kann mich, daran erinnern, wie dieser Augenblick war, wenn auch nur einen Moment lang.


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