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Eine Nacht wie diese

Lina Marte

Er musste einiges an Kraft aufwenden, um die Tür aufzudrücken. Als er die Tür einen Spalt breit geöffnet hatte, schlüpfte er schnell hindurch. Im Lokal roch es nach Alkohol, unerfüllten Lebensträumen und Zigarettenrauch, auch wenn schon seit Jahrzehnten nicht mehr im Innenraum geraucht werden durfte. Der Geruch hatte sich, so schien es, in die Holzverkleidung gefressen. Behutsam, aber doch mit sicheren Schritten bahnte er sich einen Weg durch die Tische, an denen das ein oder andere ihm bekannte Gesicht saß. Sein Ziel, ein Tisch, der mit aller Macht versuchte im Raum verloren zu gehen. Er zog einen Stuhl heraus und nickte den anderen Gästen, die an dem Tisch saßen, zu. Drei von ihnen kannte er schon aus seinen Kindheitstagen, einen anderen aus seiner Studienzeit und die einzige Frau am Tisch hatte seinen Anwalt und Kollegen geheiratet. Sein Kollege verschwand vor gut dreißig Jahren, man verdächtigte zuerst einen seiner Klienten dann aber schnell seine Frau. Damals konnte man alle schmutzigen Details der Ehe im Wochenblatt der Stadt lesen, sowie die verschiedensten an den Haaren herbei gezogenen Theorien lesen. Zwei Jahre nach seinem Verschwinden erklärte man ihn dann für Tod. Sie wurde nie angeklagt, ganz nach dem Motto: Keine Leiche, kein Verbrechen. Und das Verschwinden konnte man ihr nie nachweisen. Jetzt saß sie zu seiner linken und verlor sich mit glasigen Augen in ihrem Glas. Die anderen Herren waren glucksend in ein Gespräch über irgendeine Belanglosigkeit vertieft. Ein Kellner stellte einen Krug vor ihn auf den Tisch. Nach dem ersten Krug wurde er redseliger. Sie sprachen über alte Zeiten, die Arbeit, die sie alle schon hinter sich gelassen hatten und somit auch über die Pension, Hobbys und Tratsch und Klatsch. Nach einem längeren Zeitraum, den er so nicht weiter einschränken konnte, stand er auf. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, wie er fand, hatte er sich gut gehalten und so hatte er weder das Gefühl, dass ihm der Boden unter den Füßen wegbrach, noch dass der Alkohol ihn zum Schwanken brachte. Mit einem Winken in die Runde und einem Grölen als Antwort verabschiedete er sich. Als er sich zum wiederholten Male an diesem Abend, einen Weg zwischen den Tisch hindurch bahnte Richtung Tür, sprachen ihn Leute von der Seite an. Lachen und Lärm erfüllte den Raum. Als er die Türe aufstieß, schlug ihm die stille und kalte Nachtluft entgegen. Er zog seinen Mantel näher um seinen Körper und trat seinen Heimweg an. Das Einzige, das er vernahm, waren seine Schritte auf der Straße. Er bog auf einen Trampelpfad ein. Die Nachtluft brannte in seinen Lungen. Der Pfad führte ihn an einem Rinnsal vorbei und in ein kleines Wäldchen. Das Licht des Mondes kämpfte sich durch die Bäume und erleuchtete diese nur spärlich. Doch seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Schon bald kam er zu einem Halt, da, vor ihm, tief unter der Erde, lag sein Kollege. Er hatte ihn, in einer Nacht wie dieser, vor dreißig Jahren erschlagen und verscharrt wie ein Tier. 


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