Ich habe ein Auquarium mit anfangs sieben Fischen. Alle sehen gleich aus, sie alle haben einen blau – gräulichen, fischtypischen, länglichen Körper. Unmöglich kann ich sie voneinander unterscheiden. Durch die Glasscheiben sehen sie alle gleich aus, jeder Fisch wie der nächste. Ich frage mich schon seit langer Zeit, ob die Fische sich selbst von- und untereinander unterscheiden können. Oder ob sie ihr ganzes Leben die Gesellschaft mit den anderen Fischen meiden.
Ich habe ein Haus mit anfangs sechs weiteren Fischen. Unser Haus, ein Haus aus Glas steht auf einem hohen Holzpodest in einem geräumigen Zimmer, in dem wiederrum fünf Menschen leben. Dies konnte ich in den letzten drei Jahren herrausfinden. Die Menschen, die dort wohnen sehen alle gleich aus, sie alle haben einen länglichen Torso, dünne Beine und einen runden Kopf. Manche haben lange Zöpfe, manche gar nichts am Kopf. Durch die Glaswände meines Hauses sehen sie alle gleich aus, jeder Mensch wie der nächste. Ich wohne schon drei jahre in diesem Häuschen, und ich frage mich seit langer Zeit, ob sich die Menschen wohl von- und untereinnder unterscheiden können. Oder ob sie ihr ganzes Leben die Gesellschaft mit den anderen Menschen meiden.
Zwei Fischen gab ich zu Beginn einen Namen. Meine beiden Geschwister bestanden darauf, dass jeder zwei Fische bekommen würde, die er nach eigener Interesse benamen durfte. Ich nannte meine beiden Romeo und Julia. Ich wusste nicht, welches Geschlecht sie hatten, doch ich stelle mir vor, wie sie als Paar durch die leichte Strömung in ihrem Aquarium waten, Flosse in Flosse. Oder so.
Wir haben uns zusammengesetzt und besprochen, wie wir die Menschen nun nennen. Wir müssen sie logischerweise zuordnen können, ihnen Namen geben, damit sie irgendwie an Diversität erlangen konnte. Doch fünf Menschen auf sechs Fische aufzuteilen war schwieriger als zuerst vernommen. „Zwei bekommen einfach einen gemeinsam“, schlug ich damals vor, „irgendwann wird es ohnehin sinnlos, irgendwann werden wir ihre Namen ohnehin vergessen, wo sie doch alle gleich aussehen“. Doch diese Worte trugen nur Fäulnis, keine sauberen Früchte. Meine Freunde wurden laut, stritten sich, denn sie alle wollten einen eigenen Menschen, niemals würden sie sich einen teilen, nein, das käme gar nicht in Frage! Sie zankten sich und bissen sich, gingen in Grüppchen anfangs auf sich gegenseitig zu, später dann auf mich. Und wir kämpften, schlugen, drohten uns, und im Augenblick einer Sekunde färbte rotes Blut das Wasser, und einer meiner Freunde war tot. Sank auf den Kieselboden hinab. War tot. Und an der Stelle, an der er brutal gegen die Glaswand gedroschen war, vermochte ich einen feinen Sprung auszumachen. Wir sollen vorsichtig sein, dachte ich.
Eines Tages, als ich durch den Glaskasten schaute, war ein Fisch tot zu Boden gesunken. Ich versuchte, ein Merkmal auszumachen, herauszufinden, welcher es denn nun war. Doch ich erkannte nichts. Er sah, selbst tot, genauso aus wie alle anderen. Wie seine Freunde. Seine Freunde, die ihren Alltag weiterlebten, als wäre es nicht wirklich geschehen, der Tod eines lieben Freundes. Es musste so sein, ja. Ich denke, die Fische sind sich ihrer Gesellschaft nicht bewusst.
In den Fünf Tagen nach dem Vorfall diskutierten wir wie wild, was passiert war. Am Ende kamen wir zu dem Fazit, dass es so wahrscheinlich besser war, und wir nicht mehr darüber sprechen sollten. Nun war es einfach, jedem Fisch gehörte ein Mensch, und wir benannten sie alle wir wir es wollten.
Einmal, als ein Freund meines Bruders zu Besuch kam, stürmte er sofort ins Esszimmer. Er wollte unbedingt die Fische ansehen, wie sie in dem Aquarium hin und her schwimmen. Doch das wäre dann auch das Letzte Mal gewesen.
Einmal, als ein sechster Mensch in das Zimmer kam, passierte bald darauf etwas Grausames. Er stellte sich so nah vor die Glasscheibe, dass wir ihn alle klar erkennen konnten. Wir alle waren uns einig, dieser Mensch gehörte nicht zur Familie. Aber würde er bleiben? Denn er blieb den ganzen Tag, und schaute immer wieder für lange Zeit zu uns herein, dass es uns ganz anders wurde. Wir blieben im Schatten des Seegrases und vergruben uns leicht im Sand. Doch am nächsten Tag war er immer noch da, und ein paar Tage darauf kam er wieder und wieder. Also mussten wir uns überlegen, wir wir ihn nannten. „Nun sei es schon wieder beim alten Problem“, sagte ein Freund, „aber herzaubern können wir keinen sechsten Fisch für einen sechsten Menschen, einer muss also zwei Menschen bekommen.“ Und wieder begann es heiß im Auquarium zu werden, denn wieso sollte einer zwei Menschen bekommen? Niemals, nein, dass kam gar nicht in Frage! Das muss doch ermüdend sein, zwei Menschen zu haben. Und wieder begann ein Kampf, jeder gegen jeden, nun, denn ich sträubte mich gegen den Vorschlag, zwei Menschen zu halten. Wir kämpften, schlugen, drohten uns. Und irgendwie verfing ich mich in Seegras, es legte sich wie lange Finger um meinen Hals, und zog sich zu. Im Augenwinkel sah ich einen Kopf vor dem Glas, ganz nah, und ich sah, wie er seine Fäuste an die Scheibe legte und darauf einschlug, immer und immer wieder. Und das Glas zersprang, Luft umhüllte uns alle wie eine enge Decke. Als ich am Boden aufflog, begann es an den Rändern meines Sichtfelds schwarz zu werden. Doch für einen Moment sah ich alle sechs Menschen. Und als ich sie so sah, ohne Glas zwischen uns, erkannte ich erst, wie unterscheidlich sie in Wahrheit waren. Das Glas hatte mich belogen, betrogen. Die Menschen waren doch so wunderschön. Ich wünschte, ich könnte sie länger so bedrachten.
Alle unsere Fische sind tot. Nächste Woche legen wir uns neue zu, und ein neues, größeres Aqurium kaufen wir auch. Und andere Fischrassen, damit wir sie auch alle unterscheiden können. Ich habe vegessen, wie ich meine damals benannt habe, aber ich glaube, ich werde meine neuen Romeo und Julia taufen.