Diese Stadt ist wie ein aufgeschlagenes Tagebuch. Die Straßen sind Zeilen, die sich endlos wiederholen, die Häuser Seiten voller kleiner, offener Geschichten. Kein Vorhang hält stand, kein Dach ist dicht genug, um das Drinnen vor den Blicken zu verbergen. Fenster, unter denen das Leben atmet, rast, innehält.
Ein Mädchen sitzt am Schreibtisch, den Kopf auf den Arm gelegt, während ihr Handy leise neben ihr summt. Auf ihrem Bildschirm flackern Nachrichten, Gesichter, Stimmen, die alle etwas von ihr wollen. Müdigkeit liegt schwer auf ihren Schultern, ihr Blick ist sehnsüchtig auf das Fenster gerichtet, als könnte draußen eine Antwort warten. Für sie ist es Alltag, doch ich sehe die unsichtbare Last, die sie drückt.
Wohin ist die Dunkelheit nur verschwunden? Kein Ort ist mehr still genug, um Gedanken wirklich allein zu lassen. Jede Geste findet einen Empfänger, jedes Wort einen Speicher. Es ist ein Fluch. Nichts bleibt verborgen, kein Gedanke, keine Geste, kein Wort. Alles ist sichtbar, als hätten die Wände beschlossen, ihre Geheimnisse preiszugeben.
Manchmal frage ich mich, ob sie glücklicher wären, wenn weniger von ihnen sichtbar wäre. Vielleicht würden sie leichter atmen, wenn nicht jeder Schritt eine Spur im Sand wäre, die nie mehr verweht. Und manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt anders bin. Denn je länger ich diese Welt betrachte, desto deutlicher spüre ich, dass auch ich längst durchsichtig geworden bin.