Die Welt begann zu bröckeln. Aber ihr dürft euch das nicht wie eine Fassade eines alten Hauses vorstellen, das über Zeit gealtert ist, und jetzt Stück für Stück vom Rest abbröselt. Nein, eher wie ein Glas, das an der Kante eines Tisches steht und durch jeden kleinsten Ruck hinunterfallen könnte. Dann würde es zerbersten und in unzählige Scherben zerfallen. Scherben, die nicht leicht wieder zusammengesetzt werden könnten. Ja, es war eine gläserne Welt.
Und so saß ich da, in der hintersten Ecke des Gemeinschaftsbunkers, es dürfte das Jahr 2032 gewesen sein. Die Nachbarskatze strich mir um die Beine, ich glaube ihr Name war Minky. Der zweite kalte Krieg dauerte schon lange, aber sie sagten, es würde uns nicht betreffen. Sie sagten, es würde nicht zur Eskalation kommen. Sie sagten, sie würden die Bomben nicht zünden.
Minky miaute. Ich wusste nicht, ob sie verstand, was hier vor sich ging, aber sie schien sich unwohl zu fühlen. Also streichelte ich sie. Ich kannte die Katze schon lange. Lange bevor man nicht wusste, ob der Krieg kalt oder warm war. Lange bevor man sich in Bunkern verstecken musste.
Sie dürfte schon alt sein. Zumindest konnte ich mich nicht an einen Zeitpunkt erinnern, an dem sie mich nicht begrüßt hat, wenn ich durch das Tor meiner Nachbarn trat, um bei ihnen Kartoffeln zu kaufen. Außerdem hatte sie schon fast keine Zähne mehr, was auch auf ein fortgeschrittenes Alter hinweist.
Doch plötzlich hatte Minky keine Lust mehr auf eine Streicheleinheit. Sie biss mir in die Hand, nicht böse gemeint, nicht fest, eher ein: „Genug vom Streicheln“. Sie wirkte beunruhigt, nervös. Ich entschied mich, ins „Wohnzimmer“ zu gehen, einem Raum mit einer großen Couch, zwei Tischen und einem Fernseher. Stimmen drangen von dort herüber, gedämpft durch die dicken Bunkerwände.
Im Wohnzimmer spielten mein Opa, mein Papa, und alle anderen männlichen Insassen des Gemeinschaftsbunkers über 50, „Hosn owi“. Der Fernseher lief, irgendeine uralte Oper. Meine Oma bügelte wieder einmal die gesamte Wäsche des Bunkers. Alle anderen waren wohl in den Schlafräumen. Verständlich, es war schließlich auch schon spät.
Ich setzte mich auf die Couch und nahm mein Handy in die Hand, das ich dort vor ein paar Stunden abgelegt hatte. Ich schaltete es ein und schaute sehnsüchtig in die Ecke rechts oben, aber wurde erneut enttäuscht. „Nur Notrufe“, stand da. Nicht mal ein Balken.
Plötzlich ging das Licht aus. Dann auch der Fernseher. Und das beinahe antike Bügeleisen meiner Oma machte auch keine Geräusche mehr. Ich spürte, wie etwas Warmes, Weiches meine Hand streifte und auf meinen Schoß hüpfte. Anscheinend war Minky mir gefolgt.
Keiner redete mehr. Man hörte nur mehr das Atmen der Anwesenden. Und ein hohes Surren in der Ferne.