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Der erste Tag des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts

Der heutige Morgen unterschied sich kaum von allen anderen: Wie immer stand ich genau um 7:30 Uhr auf, erledigte meine alltägliche Morgenroutine und verließ das Haus bereits um 8:00 Uhr.

Obwohl es ein früher Wintermorgen war, war es hell wie am Tag, dank des Lichts unzähliger Laternen und Bildschirme an den Wänden endlos langer Plattenbauten, zwischen denen die Allee eingezwängt war, auf der mein Bus in einem dichten Strom anderer ebensolcher Busse fuhr. Ich erinnere mich noch gut, wie es vor zehn Jahren an diesem Ort ständig schreckliche Verkehrsstaus gab. Aber seitdem gibt es, denke ich, in allen modernen Städten kein einziges Privatauto mehr. Dank dessen bewegt sich der gesamte öffentliche Verkehr nun rund um die Uhr mit konstanter Geschwindigkeit und hält nur an, um Passagiere aussteigen zu lassen und neue aufzunehmen.

Um 8:30 Uhr war ich bereits im Büro. Ich arbeite jetzt im fünften Jahr beim staatlichen Detektivbüro, wo ich meine eigene Abteilung leite. Im Moment ermitteln wir in einem Fall über einen Serienmörder, der bisher nicht aufgespürt werden konnte, trotz der vor etwa zehn Jahren eingeführten "Gottes Auge"-Technologie, mit der man jede Person in Echtzeit und an jedem Ort der Erde verfolgen kann. Ich verstehe ihr Funktionsprinzip immer noch nicht vollständig, aber soweit mir bekannt ist, verwendet sie Nanomaschinen, die jedem Menschen implantiert werden und von einer künstlichen Intelligenz gesteuert werden. Darüber hinaus steuern sie auch unsere Schlafzyklen, unser Wachlevel und unsere Stimmung, da sie die Produktion von Hormonen und Neurotransmittern in unserem Körper kontrollieren können. Heutzutage kann man ohne diese Implantate nicht einmal einen Personalausweis erhalten.

In letzter Zeit wurde eine andere Art von Nanomaschinen getestet, die in der Lage sind, Gedanken und Erinnerungen eines Menschen zu lesen und in Zukunft sogar zu kontrollieren. Aber bisher sind sie noch nicht in den allgemeinen Gebrauch übergegangen, da die Stabilität ihrer Arbeit noch nicht vollständig gewährleistet werden kann. Und wie man sich vorstellen kann, war der von uns gesuchte Mörder genau einer dieser Testpersonen, bei dem diese Nanomaschinen versagt haben und die, zusätzlich zu ihrer schädlichen Wirkung auf seine Psyche, auch noch das Geolokationssignal blockieren.

Während ich in Gedanken versunken dasaß, ging plötzlich ein Anruf von der Leitung ein. Mir wurde mitgeteilt, dass der Mörder von einer Kamera im 20. Viertel gesichtet worden sei und ich sofort aufbrechen müsse, um ihn aufzuspüren, bevor er entkommen könne. Hastig sprang ich vom Tisch auf, warf meine Jacke über und stürmte aus dem Büro. Für solche dringenden Fälle haben wir auf dem Dach des Gebäudes einen Landeplatz für ein Fluggerät, das in der Lage ist, große Entfernungen in Sekundenschnelle nahezu lautlos zurückzulegen. Vor Ort verfolgte ich über einen speziellen Geolokator eine Person mit einer verdächtigen psyhischen Zustand; sie befand sich in einem Laden ein paar Straßen weiter von mir entfernt.

Nachdem ich sichergestellt hatte, dass er sich drinnen befand, rief ich eine Spezialeinheit zur Festnahme besonders gefährlicher Verbrecher, die innerhalb weniger Minuten eintraf. Die Einheit stürmte in den Laden und nahm den Mörder ohne große Anstrengung fest. Er schien sich nicht einmal zu wehren, als er abgeführt wurde; sein lebloser Blick war auf den Boden gerichtet und sein Gesicht wirkte erschöpft. Die anderen Menschen schenkten dem kaum Beachtung und warfen höchstens ein paar schräge Blicke. Offenbar war es für sie so alltäglich, dass ihre routine Aufgaben wichtiger zu sein schienen.

Am Abend, auf dem Heimweg, sah ich aus dem Busfenster: Es war gleichermaßen hell von den bunten Lichtern, die Straßen wimmelten noch immer von Menschen, das Leben ging seinen gewohnten Gang, aber in meiner Seele schlich sich eine zunächst fast unbemerkte Zweifel ein, dass an all dem etwas falsch war…


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