fbpx

Mit jedem Mal mehr

Draußen regnete es. Ich sah wie das wenig Licht, welches von den Straßenlaternen ausgestrahlt wurde, in den kleinen Wasserpfützen splitterte und mir in die Augen strahlte. Ich empfand an dem Tag absolute Belanglosigkeit. Ein gleicher Tag wie jeder andere. Dieselbe Routine, dieselben Gespräche, derselbe Stundenplan wie an jedem anderen Donnerstag auch.

Als ich mein Klassenzimmer betrat wurde ich von vielen Eindrücken auf einmal getroffen. In meinen Ohren dröhnte es, das grelle Licht von der Decke blendete mich und alles hörte sich dumpf an und sah verschwommen aus. Total überfordert setzte ich mich auf meinen Platz. Mein Kopf pochte und gerade als ich mich etwas beruhigen konnte trat der erste Lehrer ein. Im Endeffekt war es egal, denn ich konnte ihm in keiner Weise zuhören. Lieber schaute ich aus dem offenen Fenster und sah zu, wie die Regentropfen, die auf das metallene Fensterbrett trafen, zersprangen, sich sammelten und danach hinuntertropften. Der Anblick war beruhigend, im Gegensatz zu dem Bild das ich in meinem Kopf dargelegt hatte. Der heutige Stundenplan: Deutsch, Geografie, Chemie, Englisch, Latein und Biologie. Es war schwül und heiß in der Klasse. So heiß das ich schwitzte. In den letzten 5 Jahre meines Lebens fühlte sich jeder Schultag gleich an. Der gleiche Stress, der gleiche Ablauf, das gleiche Gefühl in einer endlosen Schleife wie Sisyphus gefangen zu sein, nur, dass der Berg jeden Tag höher wurde. Es überforderte mich maßlos und so fragte ich den Lehrer, ob ich aufs Klo dürfe. Nicht weil ich musste, sondern weil es auf der Toilette im kühlen Keller doppelt so kühl war. Ich blieb dort für 10 Minuten bevor ich mich wieder entschied nach oben zu gehen. Es war finster und kein anderer Schüler war zu sehen, was eher selten der Fall war.

Die zweite Stunde wurde nur noch schlimmer. Im Chemiesaal war es noch heißer, schwüler und draußen strömte der Regen herunter. Ich hörte nichts mehr, geplagt und übertönt von meinen eigenen Gedanken. Es war als würde meine Realität zersplittern und als nähme man mir nach und nach die Scherben. Alles fühlte sich abgestumpft an, und als hätte nichts von dem was man täte eine Konsequenz, da sich das nächste Jahr wieder genau gleich anfühlen würde. Ich war schon gefasst auf den Stress der bald auf mich zukommen würde durch die ganzen Tests und ähnliches. Ich blickte von meiner Mappe, in der ich sowieso nicht schrieb, auf, und sah um mich herum. Lauter lange, gelangweilter Gesichter. Warum tun wir uns alle dass hier an, fragte ich mich selber in Gedanken. Warum würden wir jedes Jahr das gleiche tun nur um nach der Matura einen anderen Tagesablauf zu bekommen der sich dann wieder für mehrere Jahre wiederholte. Dieses ganze Konstrukt kam mir etwas schäbig vor, und je mehr ich darüber nachdachte umso mehr glaubte ich mir selber.

Ich stand auf und streckte mich. Der Lehrer fragte, was ich da mache und ich solle mich sofort wieder hinsetzen. Ich horchte nicht. Langsam begab ich mich zum hinteren Fenster des Raumes und öffnete es. Kalte Luft strömte herein und ich atmete erleichtert auf. In den anderen Klassen sah man den genau gleichen Anblick: lauter langer Gesichter ohne Ziel und mit leeren Augen. Keiner hinterfragte meine Aktion, da alle zu sehr in eigenen Gedanken versunken waren oder es bereits gewohnt waren, dass ich öfter die Natur bewunderte. Zumindest schien es für sie so. Ich stieg auf das Fensterbrett, lehnte mich nach vor und überließ meinen Körper der Gravitation. Der Fall kam mir wie eine Ewigkeit vor. Meine Welt war zersplittert wie Glas und obwohl alle Teile noch da gewesen wären, hätte ich diese nicht ohne die Hilfe eines anderen wieder zusammensetzen können. Nicht nur die Welt, sondern auch meine Wenigkeit war zerbrechlich wie Glas oder Porzellan. Mehrere Male versuchte ich alles wieder auf Ursprung zurückzusetzen, jedoch blieben nach jedem Mal als alles wieder zerbrach nur noch mehr Risse, die irgendwann zu viele zum Zusammenhalten waren.

KONTAKT info.literatur@ortweinschule.at

KONTAKT
info.literatur@
ortweinschule.at

Sponsoren