fbpx

Ich bin echt

Jeden Tag, wenn Luca aufsteht, ist sie mit ihrem eigenen Körper konfrontiert. Mit der kurvigen Hüfte, der kleinen Statur, den Haaren, die langsam wieder zu lang werden und vor allem der Brust, die nicht flach sein möchte. Wenn Luca sich seitlich vor den Spiegel stellt, ist immer eine Erhebung unter dem Shirt zu sehen. Ein Körper, der nicht passt, und doch der einzige, den Luca hat. Heute wie gestern versucht Luca in dieser Welt zu existieren, in der Menschen wie er angeblich nicht vorkommen. 

In der neuen Schule weiß niemand von seinem Geheimnis. Auf der Klassenlisten stand „Laura“, in ihrem Kopf Luca.

Er präsentiert sich gerne maskulin, ohne Mann zu sein, an manchen Tagen trägt sie Make-up und fühlt sich schön, ohne Frau zu sein. Luca ist nicht binär. Aber niemand hört zu.

In der Schule kennen ihn die Lehrer*innen genauso wenig wie seine Klassenkolleg*innen. Bei den Anwesenheitskontrollen drehen alle immer die Köpfe zu „Laura“ um. Laura dies, Laura das. Aber er traut sich nicht die Lehrpersonen zu korrigieren. Immerhin würden sie kein Verständnis für seine inoffizielle Namensänderung haben, wie für seine trans Mitschüler*innen.

In der Reihe hinter ihr, hört Luca ein paar von ihnen tuscheln. Es geht unverkennbar um ihn. Die Leute reden.

Warum musste seine Familie auch umziehen. Zuhause war alles besser. Seine Freunde wussten Bescheid und niemand flüsterte über ihn.

Von hinten sagt jemand „Laura“. Es brennt wie eine frische Wunde. Tief wie durch eine Scherbe. Er weiß nicht anders zu reagieren, als zu den Toiletten zu rennen. Dort wartet jedoch schon das nächste Hindernis auf sie. Welches war das richtige Klo? Wo würde Luca sich wohl fühlen und auf welches würde die Gesellschaft „Laura“ schicken?

Er stürmt einfach in eines der beiden, ohne weiter darüber nachzudenken. Es bereitet ihm schon Kopfschmerzen. Erschöpft stützt sie sich am Waschbeckenrand auf und sieht ihrem Spiegelbild entgegen. Ein Gesicht voller Makel. Eine zu kleine Stupsnase, zu herzförmige Lippen und zu weiche Wangen. Das Einzige, was sie daran gernhat, sind die vereinzelten Sommersprossen, die man bei genauerem Hinsehen erkennt. Nur, dass ihn niemand so genau betrachtet. Für Luca zerspringt förmlich eine Welt, eine Welt, in der er sein kann, wer er will. Luca kann nicht länger ihr Spiegelbild betrachten und rutscht weinend an der verfliesten Wand herunter.

Warum kann sie nicht einfach normal sein? Die flüsternden Mitmenschen beweisen es, genauso wie alles was für männlich und weiblich zugeschnitten ist.

Später zog der Tag vorbei wie dunkle Wolken. Alles war dumpf und Luca konnte auch die Gesichter der Leute nicht mehr ausmachen. Als er zu Hause ankommt, die Schuhe abstrampelt und zum ersten Mal seit Stunden in einer sicheren Umgebung ist, lässt er sich Gesicht voraus in sein ungemachtes Bett fallen. Es fühlt sich so vertraut an. Wie in der alten Heimat.

Eine einzelne Träne rinnt Lucas Gesicht herab. Keine Ahnung, ob es Trauer oder Hoffnung ist. Aber Luca fühlt sich richtig, fühlt sich lebendig. Luca ist echt, und irgendwann werden es die anderen auch sehen können! Mit diesem beruhigenden Gedanken schließt sie müde ihre Augen und schläft ein, bis ein neuer Tag anbricht.


KONTAKT info.literatur@ortweinschule.at

KONTAKT
info.literatur@
ortweinschule.at

Sponsoren