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Der Nihilist


Wenn es eine Art von Menschen gibt, welche ich über alles andere verabscheue, dann sind es Nihilisten. Denn dieses stumpfe Trugbild, des den Nihilismus predigen aber den Hedonismus leben, ist nicht nur schon lange überholt, sondern zudem auch seit Äonen verfault.

Doch dieser hier war anders.

„Ich bin verloren…“, heulte er „Meine einst so komplexe Welt, in Scherben, an denen man sich jetzt nur noch schneiden kann…“.

Ich trat einen Schritt näher um ihm in die Augen zu sehen, und tatsächlich – in ihnen offenbarten sich, statt einer ewigen Wüste der Gleichgültigkeit, Scherben - Hügel, ja Berge, gar ganze Landschaften aus Scherben, welche sich einst zu einem unbegreiflich komplexen System zusammen geschmiegt zu haben schienen.

„Jahrelange Forschung, schlaflose Nächte, kaputte Beziehungen… für… einen Haufen Scherben… Was hatte das alles für einen Sinn?… wenn es doch schlussendlich im Nichts endete…“, hörte man ihn weiter heulen.

Ich kannte dieses Gefühl. Diese Last einer zusammengebrochenen Welt. Die Schmerzen in den blutigen Fingern, wenn man verzweifelt versucht, die Scherben wieder zusammenzubasteln.

„Ich verstehe dich, auch ich trug einst solch schwere innere Last.“

„Ach ja?… Wieso stehst du dann mir dann so stolz gegenüber, anstatt neben mir im Dreck zu sitzen?

„Weil mich das Gejammer nie weiterbrachte, deine Trauer ist zwar gerechtfertigt, aber bringen tut sie dir nicht viel.“

„Aber wie sollte ich denn nicht über die Sinnlosigkeit des Lebens weinen?“

„Wieso glaubst du, dass Leben sei sinnlos?“

„Wieso? Wie – wie glaubt man das denn nicht? Alles auf dieser Welt ist vergänglich – alles Lebende stirbt, jedes Buch vergilbt und jedes Glas zerbricht… Welchen Sinn hat es denn „zu erschaffen“, wenn jede Schöpfung im Verderbnis endet?“

„Ist nicht genau das Verderbnis das, was der Schöpfung Bedeutung gibt?“

„Was?“

„So sag mir, wenn ich dir eine Pflanze schenken würde, würdest du sie täglich gießen?“

„Natürlich, sonst würde sie ja verderben.“

„Würdest du sie auch von Unkraut befreien?

„Klar, dass gäbe doch sonst kein schönes Bild ab.“

„Würdest du das auch alles bei einer Plastikpflanze tun?“

„Nein, was hätte das denn für einen Sinn?“

„Aber wenn du dich nie um deine Plastikpflanze kümmerst, und sie einfach nur herumstehen lässt, würdest du sie dann nicht irgendwann vergessen?“

„Ja… wahrscheinlich würde ich das.

„Würdest du auch die lebende Pflanze vergessen?“

„Nein, schließlich würde sie ja sterben, wenn ich sie nicht dauernd pflege.“

„Nun sag mir, ist die vergängliche, sterbliche Pflanze nicht somit bedeutsamer? Ist nicht der Tod das, was seinem Dasein Bedeutung verleiht, wenn er doch der einzige Grund ist, weshalb du sie nicht vergisst? Hättest du nicht auch deine Welt vergessen, wäre sie nicht aus zerbrechlichem Glas? Würdest du nicht das Leben selbst vergessen, wenn seine Dauer nicht durch den Tod limitiert wäre? Ja, du hast recht, alles ist vergänglich, doch ebendiese Vergänglichkeit gibt dem Leben einen Sinn, denn könnte eine Pflanze nicht sterben, warum sollte man sich um sie kümmern? Könnte ein Buch nicht vergilben, warum sollte man es lesen? Könnte ein Glas nicht zerspringen, warum sollte man darauf Acht geben?“

„… Das macht Sinn, aber bin ich dann nicht schon verloren? Meine Welt liegt doch schon in Scherben… was gibt es da noch, um was ich mich kümmern könnte?“

„Wenn eine Pflanze verrottet gibt sie dann nicht einen großartigen Dünger ab?“

„...Mhmm...“

„Was hält dich davon ab, aus den Scherben deiner alten, den Grundstein einer neuen Welt zu schaffen? Zwar gibt die Vergänglichkeit der Schöpfung einen Sinn, doch was wäre diese ewige Vergänglichkeit, ohne ewige Neuschöpfung? Genauso sinnlos wie ein Glas ohne Scherben, wären Scherben ohne Glas! Also nimm die Überbleibsel deiner alten Welt, und erbaue auf ihnen deine neue! Erschaffe eine neue gläserne Welt, und sollte diese wieder zerspringen, so sei dankbar auf das die Scherben dem Glas einen Sinn geben.“


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