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sehen und doch wegsehen

Es gibt ein Monster.

Ich sehe es, überall. In Bildern, in Stimmen, in Scherben.

Manchmal glaube ich, es sei weit weg. Hinter Grenzen, in Ländern, die nicht die meinen sind. Aber das ist eine Lüge. Für manche ist es so nah, dass sie es atmen hören, jede Stunde, jeden Tag.

Das Monster frisst Träume. Es verschluckt sie, noch bevor sie beginnen. Kinderträume, die nie wachsen dürfen. Zukunftsträume, die unter Trümmern ersticken. Das Monster reißt das Brot von den Tischen, verschlingt das Wenige, das da ist, lässt nur leere Schalen zurück und füllt die Bäuche mit Hunger.

Es wohnt in Worten. „Konflikt“ nennen wir es. Ein harmloses Wort, das alles glattstreicht. Aber das Monster lacht über unsere Wörter. Für es ist es kein Konflikt, sondern Hunger. Schmerz. Angst. Und Heimat, die zerbricht, Stein für Stein, bis nur noch Staub bleibt.

Ich flüstere mir zu: Ich kann nichts tun.Zu groß, zu mächtig, zu weit entfernt ist dieses Monster.Und doch weiß ich, dass genau dieser Gedanke seine Nahrung ist.Es frisst unsere Ausreden – und wird daran stark.

Manchmal will ich es nicht sehen. Will sagen, dass ich zu klein bin, dass einer allein nichts ändern kann. Doch dann brennt es in mir: Einer reicht, einer, der hinsieht. Einer, der nicht mitmacht. Einer, der nicht so tut, als wäre das Monster weit weg.

Die Welt ist Glas, dünn und voller Risse. Das Monster schlägt und schlägt- bis es zerbricht. Die Scherben schneiden. Mich. Dich. Uns alle. Und wir glauben noch immer, es sei fern.

Aber am Ende – wenn ich ehrlich bin – weiß ich, wer es ist.

Das Monster hat kein Fell, keine Klauen, keine Zähne.

Es trägt Hände, die zerstören und aufbauen könnten. Es trägt Augen, die sehen und doch wegsehen. Es trägt Herzen, die fühlen könnten – und es nicht mehr tun.

Das Monster bin ich.

Das Monster bist du.

Es ist der Mensch.- dem die Menschlichkeit fehlt.



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