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In der gläsernen Welt

Manchmal kommt es mir so vor, als wäre ich in einer gläsernen Welt leben. Alles durchsichtig, offen, verletzlich- als könnte jeder Mensch, der an mir vorbeigeht, direkt in mein Inneres schauen, als gäbe es keine Geheimnisse mehr. Manchmal fühlt es sich gut an, aber manchmal ist es eher beängstigend. Wenn ich in den Spiegel schaue- sehe ich mein Spiegelbild, aber irgendwie frage ich mich: sehen die anderen genau das, was ich sehe? Oder sehen sie etwas anderes, vielleicht sogar etwas Spiegelverkehrtes.  

Bevor ich zur Schule gehe, mache ich einen schnellen Outfitcheck im Spiegel. Meine Mutter ruft von unten schon, dass ich mich beeilen soll. Sie merkt sofort, wenn etwas mit mir nicht stimmt. Auch meine Oma ist so. Die beiden sind meine Lieblingsmenschen, weil sie nicht nur die Spiegeloberfläche sehen. Sie erkennen, wie es mir wirklich geht, manchmal schneller als ich es selbst merke. Bei ihnen habe ich nie das Gefühl, mich verstellen zu müssen.

Und trotzdem: In dieser Zeit wirkt alles so gläsrig. Jede Story, jedes Foto ist wie eine Selbstspiegelung. Man zeigt sich, aber eigentlich ist es nur ein Ausschnitt. Neulich hatte ich so einen richtigen Spiegelflash, als ich mir meine Bilder auf Snapchat angeschaut habe. Irgendwie dachte ich mir: Das bin doch gar nicht ich, das ist nur eine Traumspiegelung von mir selbst. Und trotzdem schaut jeder drauf, als wäre es die Wahrheit

Gestern war ich mit meiner Oma spazieren. Am See habe ich die Wasserspiegelung von den Bäumen über uns gesehen. Für einen Moment war das wie eine andere Welt, schöner als die echte, aber dann dachte ich mir: Die Spiegelungen sind zwar schön, aber eben nur Abbilder. Die Wirklichkeit ist das was zählt- auch wenn sie manchmal anstrengend ist.

Abends liege ich oft in meinem Zimmer, das Licht von der Straße fällt herein und macht eine komische Lichtspiegelung an der Wand. Das erinnert mich daran, dass es immer Dinge gibt, die nicht jeder sieht. Viellicht muss man nicht gar alles zeigen. Meine Mutter hat mal gesagt:“ Du musst nicht jedem alles preisgeben.“ Und genau das ist es, was mich beruhigt.


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