fbpx

Scherben

Der Wind drückte in meinen Rücken und die Regentropfen prasselten auf mich hinab und hinein in den strömenden Fluss. Es passte irgendwie. Ich blickte hinab, versuchte eine Reflektion zu erkennen, dafür war ich aber zu weit weg. 

Mein Bruder ist starb wegen mir. Er war mit seinen Freunden auf einer Party. Auf ihrem Rückweg gab es einen schweren Unfall, verursacht durch ihren betrunkenen Fahrer. Jeder von ihnen starb. Der Anruf kam so gegen zwei Uhr morgens, meine Eltern rissen mich aus dem Bett und wir fuhren zur Unfallstelle. Als wir ankamen wurde seine Leiche aus dem Wrack geholt. Meine Eltern brachen in Tränen aus, ich nicht. Ich konnte nicht begreifen was hier passiert war und das war erst der Anfang. Denn einen halben Tag später entdeckte ich eine Nachricht von ihm. In der Nacht zuvor hatte er versucht mich anzurufen. Er war vollkommen betrunken und bat mich ihn abzuholen. Ich verschlief den Anruf. Der größte Fehler meines Lebens. Daraufhin stieg er in das Auto. Diese Nachricht zerstörte mich. Ich hatte meinen Bruder getötet.

Es dauerte zwei quälend lange Wochen bis ich dazu in der Lage war meinen Eltern alles zu erzählen. Ich schaffte es nicht einmal sie währenddessen an zu sehen. Als ich fertig war schwiegen sie, saßen einfach nur da. Nach ein paar Minuten ertrug ich die Stille nicht mehr und verschwand hinauf in mein Zimmer. Es dauerte Stunden bis sie zu mir kamen, sie sagten ich dürfte mir keine Vorwürfe machen, allerdings machte das aller nur noch viel schlimmer, da ich in ihren Augen sehen konnten was sie wirklich dachten. Ich sprach sie nie darauf an, ich hatte zu viel Angst davor was es bewirken würde wenn es tatsächlich einmal Laut ausgesprochen worden würde. Danach begann ich mich von der Außenwelt abzuschotten.

Ich war seit damals nicht mehr dazu in der Lage ehrlich zu Lachen. Ich empfand kein Glück mehr, nur noch Schuld, Trauer und den Hass den ich empfand jedes Mal wenn ich in den Spiegel sah. Ich bin eines Tages einfach aufgewacht, bin ins Bad, hab mich vors Waschbecken gestellt und in den Spiegel darüber geschaut. Als ich mein Gesicht in der Reflektion erblickte, entbrannte in mir wieder dieser Zorn und ich fing damit an meinen Kopf einzuschlagen, bis meine Hand blutig war und die Bruchstücke des Spiegels im Waschbecken lagen. Ich stand meinen Eltern nicht mehr nahe genug um ihnen zu erzählen was passiert war. Überhaupt redeten wir nicht mehr viel mit einander.

Trotz dieses ganzes Geredes über Gefühlte empfand ich in den letzten Monaten beinahe nichts mehr. Die meiste Zeit fühlte ich mich leer, als wäre ich innerlich schon längst Tod und ich dachte mir vielleicht sollte es genauso sein. Das erste Mal das ich mich tatsächlich wieder in der Lage sah meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, war an seinem Geburtstag, etwas mehr als ein Jahr nach seinem Tod. Ich stand dort vor seinem Grab und begann zu Weinen. Drei Stunden saß ich da und erinnerte mich an die alten Zeiten, Zeiten in welchen wir zusammen waren, Zeiten wo es uns gut ging, eine glückliche Familie. Das half mir allerdings auch nicht mehr. Es war zu wenig viel zu spät.

Ich ließ meinen Blick erneut nach unten gleiten, hinab in den reißenden Fluss. Ich dachte daran was meine Eltern wohl denken würden, wenn sie den Brief fanden, den ich auf mein Bett gelegt hatte, würden sie trauern? Ich hoffte nicht. Der Sturm wurde immer stärker. Die Bäume schwankten im Wind und die raschelnden Blätter fügten sich mit prasseln des Regens und dem gelegentlich aufkommenden Donner zu einer melancholischen Symphonie zusammen. Ich warf einen letzten Blick in den Himmel, dann ließ ich mich Fallen. Der Fall von Sekunden fühlte sich an wie Jahre. Erinnerungen flimmerten vor meinen Augen. Ein Lächeln spielte sich auf mein Gesicht. Dann sah ich ihn vor mir. Ich spürte wie mein Körper in das kalte Wasser eintauchte. Er reichte mir seine Hand. Mein Kopf schlug am Boden auf. Ich ergriff seine Hand. Alles wurde schwarz.



KONTAKT info.literatur@ortweinschule.at

KONTAKT
info.literatur@
ortweinschule.at

Sponsoren