Die Welt ist durchsichtig geworden. Früher gab es Mauern, Türen, verschlossene Briefe. Heute gibt es nur noch Bildschirme, Kamers und Spiegel, die uns in tausend Stücke zerlegen und wieder zusammensetzen. Wir leben in Häusern aus Glas, ohne es zu merken, und tragen die Schlüssel zu unseren Geheimnissen selbst in den Taschen.
Ein Schritt auf der Straße, ein Klick im Netz, ein flüchtiges Lächeln im Vorbeigehen, alles wird gesammelt, gespeichert, ausgewertet. Manchmal denke ich: Ich bin nicht mehr ich. Ich bin ein Muster aus Daten, ein Schatten aus Zahlen, ein Gesicht im unendlichen Meer der Profile.
Die gläserne Welt verspricht Nähe. Freunde sind nur eine Nachricht entfernt, Erinnerungen in Sekunden aufrufbar, Bilder in alle Richtungen verteilt. Doch diese Nähe ist seltsam kalt. Sie ist die Nähe eines Spiegels, nicht die wärme einer Berührung. Ich sehe dich, du siehst mich, aber berühren wir uns wirklich?
Es gibt keinen dunklen Raum mehr, in dem man ungestört träumen kann. Selbst die Träume verraten sich: als Suchanfragen, als Likes, als kleine Spuren, die wir hinterlassen wie Brotkrumen im digitalen Wald. Doch wohin führen sie uns? Und uns selbst? Oder immer weiter weg?
Die gläserne Welt sagt: „Sei offen, sei sichtbar, sei ehrlich.“ aDoch Ehrlichkeit wird zur Pflicht, und Sichtbarkeit zur Falle. Was bedeutet Freiheit, wenn alle Blicke auf dir ruhen? Vielleicht ist der Mensch erst frei, wenn er unsichtbar sein darf.
Und manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn das Glas zerbricht. Wenn die Datenströme versiegen, die Server verstummen, die Kamers erblinden. Würden wir einnander wieder finden, im Nebel, im Dunkeln, im geheimen? Oder hätten wir verlernt, uns ohne Spiegel zu erkennen?
Die gläserne Welt glänzt, sie lockt, sie verspricht Klarheit. Doch in ihrem Glanz liegt auch eine Gefahr: Wer ständig durchsichtig ist, der läuft Gefahr, sich selbst zu verlieren. Vielleicht ist das wahre Leben das, was im Schatten bleibt, dort wo das Glas blind wird und ein Rest von Geheimnis überlebt.