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Eine Welt, tausend Scherben

Mattea Kessler

Es fällt mir aus der Hand. Alles passiert wie in Zeitlupe. 

 Ich bin nicht mehr anwesend. Was hat sie mir gerade erzählt?

Das Glas trifft auf den Boden und zerspringt in tausend winzige Teile. Und da ist es nicht allein, denn meine Welt tut es ihm gleich. Ich kann sie nicht mehr zusammenhalten.

 Ich stehe wie gefroren da und starre ins Nichts. Wer bin ich eigentlich? Mein Leben lang dachte ich es zu wissen. Und dann dieser eine Satz und alles ist fort.

Wie soll ich jetzt weitermachen? Wie soll ich mit diesen schweren Gefühlen umgehen, die drohen mich zu erdrücken?

Ich merke, wie sie mich sanft zum Sofa führt und mich hinsetzt. Sie rüttelt mich und ruft ängstlich meinen Namen, doch ich schaue einfach nur geradeaus.

Ich wusste, dass er existiert hatte, aber da ich mich nicht an ihn erinnere, war er mir völlig egal. Aber diese Information ändert alles. Alles, was ich je zu wissen glaubte, ist nichts mehr wert.

Manche würden jetzt meinen, ich übertreibe. Dass ich doch einfach weitermachen soll, da ich sowieso nichts daran ändern kann. Aber wie soll ich weitermachen, wenn ich kein Fundament mehr besitze. Nichts auf dem ich aufbauen, an dem ich mich festhalten kann. Weil nichts davon wahr ist.

Erinnerungsfetzen durchdringen mein Gedächtnis. Dunkel kehren alte Bilder wieder zurück.

Mir wird übel. Ich spüre, wie meine Magensäure gegen die Schwerkraft ankämpft und gewinnt. Schnell springe ich auf und renne ins Bad, knie mich vor die Toilette und übergebe mich.

Sie setzt sich neben mich und hält mir die Haare zurück, während sie mich mit ein paar Sätzen versucht zu beruhigen, die ungefähr so hilfreich sind wie ein Cocktailschirmchen in einem Gewitter. Sie streicht mir über den Rücken, bis ich mit zitternden Beinen wieder aufstehe.

Der saure Geschmack fühlt sich so an, als würde er meinen Mund verätzen, also gehe ich zum Waschbecken und spüle ihn schnell aus. Als ich mich aufrichte, sehe ich mein Spiegelbild und wende mich schnell ab.

Sofort treffen mich tiefe Schuldgefühle. Es ist, als hätte jemand die Scherben des zerbrochenen Glases aufgehoben und sie mir ins Gehirn gerammt. Jede andere Metapher wäre zu milde.

Ich werde nie wieder in den Spiegel schauen können – nicht mit dem Wissen, dass ich ihn umgebracht habe.


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