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Meine zerbrechliche Glaskugel

Bastian Tinnacher

Na nu? Irgendetwas ist heute aber anders als Gestern. Ich spüre die kalte Luft in meinem Gesicht, die höchstwahrscheinlich durch mein offenes Fenster in den Raum strömt. Trotz meiner warmen Decke sind meine Füße kalt und fühlen sich anders an. Aber das ist schon ok so. Ich liebe die Kälte. Irgendetwas fehlt jedoch. Alles scheint so leer. Mein Zimmer jedenfalls nicht. Meine Augen streifen suchend umher. Nein, es ist doch alles so wie bisher. Die Bücher stehen im Regal, die Legosteine sind nach Farbe, Größe, und Form sortiert und mein Schreibtisch ist ebenso ordentlich organisiert wie ich es mir wünsche. Eigentlich fühle ich mich gerade richtig wohl in meiner Haut. Oder nicht? Ich weiß es nicht. Irgendwie ist mir murmelig zu mute. Etwas passt nicht. Meine Augen fühlen sich anders an als sonst. Sie sind feucht und langsam macht sich die Müdigkeit in ihnen bemerkbar. Bilde ich mir das nur ein, oder ist es dem Licht in meinem Zimmer geschuldet? Nein, kann nicht sein! Es ist doch gerade so klischeehaft schön hier. Die Sonne strahlt in orange-zarten Akzenten schräg durch das Fenster in die rechte Seite des Zimmers. Sie erhellt den Raum zwar nur zum Teil, aber gibt ihm dennoch eine angenehme Atmosphere. Also, das kann ja nicht das Problem sein. Liegt es vielleicht an den letzten Tagen, Wochen oder sogar den letzten Jahren? Ich weiß es nicht. Aber das ist ok. Ich frage mich wirklich, wo der Ursprung meines Unwohlbefindens liegt. Woran könnte es liegen? Woher soll ich wissen was mir fehlt? Vielleicht liegt es an der Luft? Es riecht anders. Anders, aber nicht im schlechten Sinne. Ich nehme einen unverkennbaren Geruch von Polyester wahr. Aber im Grunde war es das dann auch schon. Irgendwie seltsam, dass die Luft wirklich zu einem Großteil nach Nichts oder eher steril riecht. Mir kommt es langsam so vor in einer großen Glaskugel zu sitzen. Jetzt weiß ich gewiss, was mir fehlt. Ich fühle mich so alleine - so abgeschottet. Meine Atmung wird immer ruhiger und ich fühle mich zunehmend entspannter. Meine Augen werden immer schwerer. Bin ich müde? Mein Körper ist es jedenfalls. Ich schätze, ich habe einfach in den vergangenen Nächten zu wenig geschlafen. Ein weiteres Nickerchen tut mir bestimmt gut. 

Der Patientenmonitor der Intensivstation zeigt keinen Herzschlag mehr bei dem noch viel zu jungen Meilo an. Er leidete sein ganzes Leben schon an einer schweren Autoimunkrankheit, die seine inneren Organe langsam aber stätig zerstörte. Mutter und Vater sitzen an seinem Krankenbett und können vor Trauer und Schmerz kaum einen klaren Gedanken fassen. Meilo war ein selbstbewusstes, wissbegieriges und liebenswürdiges Kind, dass leider an den folgen seiner Krankheit viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde. Seine Familie und seine wenigen Freunde besuchten ihn stets mit einem Lächeln, dass es nur zu gerne erwiederte. Doch gegen Ende wurde seine Wahrnehmung immer verzerrter und er sprach des Öfternen einen, von vielen nicht verständlichen Satz: "Ach wie schön, dass ihr mich in meiner zerbrechlichen Glaskugel besuchen kommt.“


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